Von der Lust auf Einfachheit und der Macht der Möglichkeiten
- Joshy
- 21. Aug.
- 3 Min. Lesezeit
Wie ein Technik-Nerd davon träumt ohne Technik zu leben

Wenn ein Glas Wasser den Tag umwirft
Sommer in Stockholm. Wir wollen los in die Stadt, ich will noch schnell ein Glas Wasser trinken. Der Hahn läuft, die Pumpe springt an – aber kaum Druck, und sie klingt seltsam. Auch die Kontrolllampen am 12V-Panel glimmen verdächtig schwach.

Die Victron-App zeigt: Unterspannungsalarme an mehreren Geräten. Erster Gedanke: „Och nöö…“, zweiter: „Bitte keine defekte Lithiumzelle.“ Alle warten schon hungrig am Steg, doch weggehen ist keine Option – das lässt mir ja doch keine Ruhe bis wir wieder an Bord sind.
Also Multimeter geschnappt, ab auf Fehlersuche. Zum Glück kommt man an alles gut ran – ein Hoch auf den Installateur dieser Anlage! Die Ursache ist schnell gefunden: Der Victron Battery Protect, der als Lastrelais fürs BMS dient, verursacht einen Spannungsabfall von 5V. Warum? Keine Ahnung. Relais kurzerhand überbrückt – Problem gelöst. Vorerst. Jetzt erstmal essen.
Technikliebe mit Nebenwirkungen
Und in genau solchen Momenten frage ich mich, warum ich mir das alles überhaupt antue. Ich könnte hier sitzen, meinen Tee austrinken und mit den anderen in die Stadt gehen. Aber stattdessen knie ich auf dem Boden und messe Spannungen, weil mich so ein blödes Problem nicht loslässt, bis es gelöst ist. Es ist fast absurd: Ich liebe es, Technik zu planen, zu bauen und zu optimieren und trotzdem sorgt sie manchmal genau für das Gegenteil dessen, wozu sie gedacht ist: Sie macht mein Leben nicht einfacher, sondern komplizierter.
Der Reiz des Einfachen

Und seien wir ehrlich: Für den Törn von Lübeck nach Stockholm braucht es keine Kartenplotter, Tablets, Inverter oder komplexe Ladeelektrik. Ein Törnführer, Papierseekarten, ein Hand-GPS-Gerät und etwas Strom für Lichter und Handyladen würden genügen. Der Lohn: Leben im Hier und Jetzt, volle Aufmerksamkeit für die Umgebung. Jede Tonne, jeder Felsen würde mit der Karte abgeglichen, die Position regelmäßig per Hand bestimmt. Navigation wäre dann nicht Hintergrundaufgabe, sondern der Kern des Segelns – intensiver, als wenn der Plotter die Arbeit übernimmt.
Der gelebte Traum
Ich mag diesen puristischen, fast romantischen Gedanken vom Segeln. Und doch schreibe ich diese Zeilen gerade vor Anker an einer åländischen Schäre. Meine Partnerin und ich arbeiten

von hier aus – so finanzieren wir unser Leben. Das letzte Mal waren wir vor sechs Tagen im Hafen, und wir müssen auch in den kommenden zwei Wochen keinen anlaufen. Wir sind autark, ein Traum, den ich mir lange erfüllen wollte – und den ich jetzt wohl erreicht habe.
Die Ironie des Fortschritts
Und genau das ist die Ironie: Dieses unabhängige, selbstbestimmte Leben wäre ohne Technik gar nicht denkbar. Die Solaranlage versorgt uns mit Energie, LTE verwandelt unser Boot in ein schwimmendes Büro. Gerade in den verwinkelten Schären erleichtert uns die digitale Navigation das Auffinden schöner Ankerplätze – ganz ohne stundenlanges Blättern in Papierkarten. All diese Systeme sind letztlich der Grund, warum wir mit unserem Lebensmodell so autark unterwegs sein können. Zwischen Arbeit, Instandhaltung und Navigation gibt es ohnehin genug, was unsere Zeit beansprucht – und das schaffen wir alles nur, weil bestimmte Abläufe durch Technik einfacher geworden sind. So bleibt am Ende auch noch Raum für die schönen Momente: einen Ausflug im Dinghy, einen Sprung ins Wasser oder ein kleines Nickerchen in der Hängematte. Und gleichzeitig sind sie der Auslöser für meinen ständigen Spagat zwischen dem Wunsch nach Einfachheit und der Erkenntnis, dass genau diese Technik den Traum überhaupt erst möglich macht.
Zwischen Sehnsucht und Realität
Ich liebe den Gedanken vom romantischen, reduzierten Segeln und beneide jedes Boot, das fast ohne Technik auskommt. Gleichzeitig weiß ich, dass ich mein Leben so, wie ich es heute lebe – autark und arbeitend von Bord – der Technik verdanke. Und so finde ich mich irgendwie mit einer gesunden Balance ab: genug Systeme, um meinen Alltag sicher, effizient und angenehm zu gestalten, aber so wenig, dass sie mich nicht beherrschen. Jede Installation muss mir am Ende mehr bringen, als sie mich kostet – in Zeit, Nerven und Energie.
Letztendlich hängt es natürlich von einem selbst ab, wie viel Zeit man der Technik einräumt. Ich werde mich jetzt auf jeden Fall wieder in die Hängematte legen!
Ciao.
Doch halt! Irgendwas auf meinem selbstgebauten Info-Display für die technischen Anlagen an Bord sieht komisch aus. Eine Zahl ist falsch formatiert. Na gut… vielleicht werfe ich da nur ganz kurz einen klitzekleinen Blick drauf.
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